Berlin, den 7. Juli 2022. Laut dem aktuellen Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes mussten im Jahr 2021 13,8 Millionen Menschen in Deutschland zu den Einkommensarmen gerechnet werden. Das entspricht ganzen 16,6 % der Gesamtbevölkerung. Noch nie wurde auf der Datenbasis des Mikrozensus eine höhere Armutsquote für das Bundesgebiet gemessen. Dies ist umso erschreckender, als dass die derzeitige Rekordinflation und die Preisexplosion bei der Energie darin noch gar nicht berücksichtig sind.

Wenn man sich die Zahlen genau anschaut, zeigen Haushalte mit drei und mehr Kindern (31,6 Prozent) sowie Alleinerziehende (41,6 Prozent) die höchste Armutsbetroffenheit aller Haushaltstypen. Die Armut unter Kindern und Jugendlichen hat mit 20,8 Prozent, wie die Armut allgemein, eine neue Rekordmarke erreicht.
Gleiches gilt für ältere Menschen (17,4 Prozent) und Rentner (17,9 Prozent), darunter vor allem Frauen.
Erwerbslose und Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen sowie mit Migrationshintergrund sind ebenfalls stark überproportional betroffen. Umso erstaunlicher, dass die Regierung bei der Energiepauschale gerade die Rentner außen vorgelassen hat und viele Hilfen eher einkommensproportional verlaufen. Armutspolitisch sind diese Maßnahmen weniger hilfreich, da diese nicht bedarfsdeckend sind.

So wird die Inflation die Wohlstandsdisparitäten zwischen ärmeren und reicheren Haushalten wahrscheinlich zukünftig noch einmal deutlich vertiefen.

Bedenklich ist dazu, dass fast die Hälfte der Bürger ohne nennenswerte Reserven in Form von Vermögen ist, sowie dass nach wie vor jeder fünfte Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor tätig ist.

Hier bedarf es daher dringend anderer Ansätze der Politik, um Menschen aus der Armut zu helfen oder zu verhindern, dass noch mehr Menschen hineingeraten. Schließlich werden auch die psychischen Belastungen der Betroffenen immer größer. Viele leiden zunehmen an Depressionen und anderen seelischen Krankheiten.

Meiner Ansicht nach müssen daher zeitnah die nicht bedarfsdeckenden Regelsätze in Hartz IV und in der Altersgrundsicherung inflationsausgleichend angehoben und neu berechnet werden. Dieser Ansatz wird auch durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gestützt. In seinem Beschluss vom 23. Juli 2014 heißt es :„Ergibt sich eine offensichtliche und erhebliche Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter, muss der Gesetzgeber zeitnah darauf reagieren. […] Ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auf-tretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten.“ Die Bundesregierung versteift sich hingegen auf Einmalzahlungen, obwohl sie selber einräumen muss, dass es keine Berechnungen gibt, ob mit oder ohne Einrechnung der Einmalzahlungen eine Bedarfsdeckung gewährleistet ist.

Ebenso darf meiner Meinung nach das BAföG nicht unter dem Existenzminimum liegen, sondern muss analog zu Hartz IV schnellstmöglich angehoben werden. Priorisiert muss eine zukunftsorientierte Neuaufstellung der gesetzlichen Rentenversicherung inklusive der Erwerbsminderungsrenten in Angriff genommen werden.

Rentenleistungen sind weiter bei der Gewährung von Altersgrundsicherung mit großzügigen Freibeträgen zu versehen. Wie in anderen Industriestaaten sollte es eine Subventionierung der Renten geben.

Gerade in der aktuellen Lage ist zumindest ein temporärer Verzicht auf die Energiesteuer unerlässlich, um den Druck auf die Haushalte immens zu senken. Es sollte sich jeder Strom und Heizung leisten können:

Weiter ist eine Mehrwertsteuersenkung auf Grundnahrungsmittel zu diskutieren, damit auch hier die Bürger entlastet werden und nicht weiter teilweise auf Mahlzeiten verzichten müssen.

Dies sollte alles im Sinne der sozialen Gerechtigkeit über eine Sondersteuer für Krisengewinnler, wie die Pharmaindustrie oder Öl-Konzerne, mitfinanziert werden.

Es kann schließlich nicht sein, dass DAX-Konzerne Rekordgewinne ausschütten und sich der normale Bürger nicht mehr das Benzin leisten kann.

Leider hat die Regierung all diese essentiellen Schlüsse nicht bereits aus der Corona-Pandemie gezogen.
Denn es kann offensichtlich nur eine Gesellschaft mit deutlich weniger Armut resilienter gegenüber den Belastungen einer Krise sein. Jetzt muss sie allerdings die richtigen Weichen stellen, da die derzeitige Krise noch deutlich bedrohlicher ist, als die letzte. Die Maßnahmen müssen daher in der Lage sein, dauerhaft die ökonomische Situation der prekären Haushalte zu stärken, um diese Gesellschaft als Ganze krisenresilienter zu machen.

Unser Sozialstaat hat heute mehr denn je die Aufgabe, jedem in Deutschland ein würdiges Leben zu ermöglichen.“